Als ich geboren wurde, d.h. aus der Milchstraße herausfiel, war ich nicht viel mehr als ein Funke von einem Stern. Meine Mutter die Mondgöttin nannte mich Astrelle.
Der große Unterschied zwischen ihr und meinem Vater dem Sonnenkönig, den ich bis dato noch nicht gesehen hatte, war, dass die Mondgöttin sich immer an oben orientierte und die meiste Zeit verträumt und abwesend wirkte. Er, der Sonnenkönig hingegen, kannte nur eine Richtung, auf die er sich konzentrierte, und das war vorne. Er lebte im Augenblick und war immer fürchterlich beschäftigt.
Eines Nachts weckte mich das blaue Licht des Mondes, das selbe Licht, das aus den Augen seiner Göttin strahlte.
Meine Mutter nahm mich bei der Hand und führte mich zu einem großen Wasser. Die Milchstraße spiegelte sich auf seiner blausilbrigen Oberfläche. Meine Mutter, jetzt die Mondgöttin in Person, mit ihrem offenen silbrigen Haar, hieß mich auf die Spiegelung zu schauen und erklärte mir dabei dass das, was ich hier sehe, das große Mysterium sei. Die große Einheit. Dass das Oben, woraus sie immer zu lesen schien, hier unten in Resonanz gehe und sich als Spiegelung zeige.
In den Wassern des Mondes, liege die ewige Wahrheit.
Eine unbekannte Traurigkeit ergriff die Göttin:“ Vergesse nie woher du kommst!“ waren ihre Worte, als sich eine Träne löste und auf die Wasseroberfläche traf.
Die Kreise zogen sich und in diesem Moment kam ein Strahl, gebündelt und so hell und durchdringend, wie ich es noch nie gesehen hatte. Er schien mich zu durchleuchten, denn auf einmal konnte ich mich im Wasser erkennen, mein Spiegelbild. Es hinterließ seinen Abdruck und Mutter sagte zu mir:“ Astrelle, das bist du, das ist deine ganze Wahrheit! Dein Vater, der Sonnenkönig ist gekommen um dich zu holen, aber ein Abdruck deines Spiegelbildes wird hier als Erinnerung auf dich warten.
Los, steh´ auf und folge den Strahlen der Sonne, versuche das zu werden, was du hier im Bild deiner ganzen Wahrheit gesehen hast“
Mit klopfendem Herzen stand ich auf, von der mächtigen Kraft der Sonnenstrahlen angezogen, machte ich mich auf den Weg in das Reich meines Vaters.
Er war sehr fordernd, er ließ mir keine Möglichkeit mich umzudrehen oder gar anzuhalten. Das warme, grelle Licht blendete so, dass ich nicht alles um mich herum erkennen konnte. Vater aber meinte, das sei nicht nötig, nur den Punkt in der Ferne galt es anzusteuern, dort müsse ich hin. Alles andere rundherum sei nur Ablenkung.
Auf meine unzähligen Fragen über wohin, warum und wieso, bekam ich immer nur die selbe Antwort: „Du musst weitergehen, und dein Sein in das Werden bringen!“
Tief in meinem Herzen fühlte ich jedoch immer den Schmerz des Verlustes, irgendetwas war doch dort in dem Mondwasser zurückgeblieben. Heimweh sollte von nun an mein ständiger Begleiter sein. Heimweh nach etwas, das so subtil wie ein Gefühl war, aber so präsent wie mein Herzschlag.
Auf dem Weg des Werdens lernte ich den Begriff Zeit und Richtung kennen. Es gab eine gewollte Entwicklung nach Vorne und eine wenig beliebte nach Hinten. Gemessen mit der unsichtbaren Einheit Zeit, eine Art von Begrenzung, die immer ein Gefühl von Eile hervorrief.
Nach langer Wanderung konnte ich plötzlich festen Boden unter den Füßen spüren. Dort wo ich jetzt war, war es grundsätzlich sehr schön.
Vater und Mutter konnte ich abwechselnd von der Weite sehen.
Ich war auch nicht mehr alleine, viele andere Sternchen waren hier und wir spielten den ganzen Tag lang. Es war ein stetiges Kommen und Gehen. Jeder hatte seine eigene, genaue Vorstellung von seinem Spiel. Mit einigen spielte ich zusammen und mit anderen überhaupt nicht.
Mein Vater sagte mir:“ Tue, damit du werden kannst Astrelle. Lerne, arbeite, spiele, lasse nichts aus. Streng dich an, gestalte und manifestiere!“
Und so spielte jeder seine Rolle, versuchte darzustellen, was ihm wichtig und richtig erschien. Dieses Spiel nannten wir Leben.
Das ständige Aufbauen und Erhalten war oft auch mühsam. Immer wieder kamen neue Sternchen wie ich dazu, und andere wiederum verschwanden.
Eines Nachts, als das Mondlicht wieder mein Herz berührte, wurde meine Sehnsucht, mein Heimweh so intensiv, dass ich das Bedürfnis hatte, meiner Mutter ganz nah zu sein. Ich stieg auf einen Berg und blickte sie mit großen, traurigen Augen an. Da konnte ich ihr Gesicht im Mond erkennen, und sie sagte zu mir: “Astrelle, vergiss deine große Wahrheit nicht!“
Mein Herz zog sich zusammen, eine Träne löste sich und fiel auf die trockene Erde. Die nächste Träne folgte, und so nährte eine nach der anderen diese Erde.
Träne für Träne erweckte mehr und mehr den starren Boden. So entstand ein Rinnsal. Wind kam auf, es wurde richtig stürmisch und ich beschloss diesem Rinnsal aus Tränen zu folgen.
Diese Geschichte beschreibt den pentagrammatischen Werdegang.
Am Fuße des Berges traf er auf ein Bächlein. Von der Sehnsucht getrieben, ging es weiter und so traf er nach einiger Zeit auf einen Fluss. Vom blauen Mondlicht begleitet, führte der Fluss zum Meer. An dessen Ufer angekommen, blickte ich auf das große Wasser. Überall Wasser!
Der Mond tauchte alles in ein silbernes Licht und die Milchstraße spiegelte sich darin. Dieser Anblick ließ mich erinnern, ich blickte direkt in das Wasser und erkannte mein ganzes Sein, meine große Wahrheit in diesem Spiegelbild.
Der Abdruck, welchen ich vor so langer Zeit hinterlassen hatte, wurde wieder ein Teil von mir. Ich war wieder Ganz.
Das Sehnen, das Heimweh war vorbei, überglücklich sprang ich in das Wasser. Ich schwamm mit voller Kraft der großen Einheit, der ewigen Wahrheit entgegen.
Ich war zuhause!
Ich hatte den Mond verlassen müssen und war meinen Weg von der Sonne begleitet gegangen. Ich musste mich beweisen, meinen Ausdruck finden und im Spiel des Lebens meine Rolle darstellen.
Es galt dieser Dynamik zu folgen, um zu erkennen, dass der Anfang auch das Ende enthält, und Start sowie Ziel den selben Ursprung haben. Wie sonst hätte ich ohne den Verlust der Einheit das Ganze erkennen können. Ich musste etwas verlieren um wieder ganz werden zu können.
Die Sehnsucht danach ist der Urgrund dieser Dynamik. Sobald wir uns auf den Weg machen, aus der Einheit herausfallen, wird der Wunsch nach einer Rückkehr dorthin in uns geboren.
Diese Geschichte beschreibt den pentagrammatischen Werdegang. Das Vergessen, Suchen und schlussendlich, das Wiederfinden unserer Herzensaufgabe.
Der Raum zwischen dem Herausfallen aus der Einheit, und der Heimkehr aus dieser Differenzierung, ist unser Leben.
Ein Gedanke zu „„Astrelle“ oder der Urgrund der Dynamik, eine alchymische Geschichte“
Liebe Magdalena
Wieder hast Du etwas sehr Bewegendes, Berührendes und das worum es geht, in eine bildhafte, wunderschöne Sprache gefasst. Die Sehnsucht, die Ur-Energie, das Sein spüren zu wollen, ermöglicht uns, unseren Weg gehen zu können. Schritt für Schritt können wir uns diesem Urgrund der Dynamik annähern, Du beschreibst es so gefühlvoll und klar.
Ein herzliches Danke für Deine bereichernde alchymische Geschichte mit „Astrelle“.
Ich freue mich über weitere Impulse. Alles Liebe Irene